Konstantin Arnold studied photography and journalism. He loves travels, surfing, the sea and freedom. The blog of the 27-year-old abducts us into poetic worlds decorated with analogue imagery. For the most part colorful and always raw and authentic. They narrate about his incredibly many journeys throughout the world and his written words are dancing like short intense waves. And show us again the beauty of the German language. We publish his last two entries about the move and life in his new home Lisbon.
3RD SEP 2017
AMOURÖS
Liebesgrüße aus einem Leben im Urlaubsmodus. Meinem Farn geht es prächtig und mir übrigens auch. Wolkenlos und vollgegessen. Mal verkatert, mal ausgesurft, lässt sich die Leichtigkeit eines Freitagvormittags hier von Montag bis Sonntag genießen. Am Strand zwischen Ärschen, von denen einer braungebrannter ist, als der nächste. Einer beschäftigter, als der andere, weil es Knochenarbeit gleichkommt, von morgens bis abends so unantastbar wie möglich zu bleiben. Morgens bin ich in Praia Grande fast am Espresso ertrunken und abends habe ich auf einer Charityparty trockenen Rotwein mit dem österreichischen Botschafter gekübelt. Er im eleganten Leinenhemd und ich in abgeschnittenen Jeanshosen. Umzingelt von weiß gedeckten Tischen auf englischem Rasen, die durch dezente Gitarrenmusik bis zur Kulisse eines südeuropäischen Liebesfilms aufsteigen. Vorspeisen, Hauptgänge und für jede Lebenslage das richtige Besteck. Portugiesisches Highlife möchte ich meinen, das all die Dinge richtig macht, die andere wohl falsch machen. Einfach grenzenlos erlaubt, sich an einem Montagabend die Kante zu geben, ohne dafür Dienstagmorgen gerade (auf) zu stehen. Immer ruhig zu schlafen, weil teure Villen nicht in Autobahnnähe gebaut werden und die Milch im Kühlschrank einfach nie ausgeht. Weil Umtriebigkeit irgendwann gezwungener Maßen zu einem gemütlichen Boxspringbett führen muss und die Menschen auf Lissabons Kopfsteinpflaster natürlich selbst für ihre Umstände verantwortlich sind. Schon mal zum Platzen vollgefressen an einem Obdachlosen vorbeigegangen? Nicht an einem der fordert oder Haschisch verkauft, sondern dich bettelnd keines Blickes würdigt. Nicht aus angetrunkener Überheblichkeit, sondern weil ihm die Würde fehlt, um aufrichtig nach vorne zu gucken.
Demut ist kraftvoll und eines der wichtigsten Bestandteile eines soliden Charakterbaukastens, auch wenn er das Fischbrötchen am Ende gar nicht wollte! Wann sind genug zu viel und die Gründe zum Entsagen zu wenig? Genug Freitagvormittag? Genug Fischbrötchen? Genug gegossen? Meinen königlichen Schwertfarn meine ich, denn wie mir eine durchreisende Französin mit Naturtalent einst zu verstehen gab, verlangt diese Pflanze eine ganze Menge Aufmerksamkeit (also nun auch genug französische Gartenratschläge?). Wann fängt es hier mittwochs mal an zu regnen, damit man sonnige Freitagvormittage wieder richtig zu schätzen weiß? Immerhin sehe ich den Sand vor lauter Ärschen nicht und finde die Verpflichtungen eines vollen Kühlschranks geradezu erdrückend! Immerhin hast du für das Steak bezahlt, das morgen schlecht wird. Freimütig gesagt, will ich etwas tun müssen, was ich nicht tun will und bei Partys endlich wieder eine Jacke tragen. Das passt irgendwie einfach besser zu mir und dem Wunsch meiner schwitzenden Ausstrahlung, eigentlich immer etwas Besseres zu tun zu haben. Mit israelischen Stewardessen im Casa de Alentejo zu Abend essen, ist besser. Artikel zu schreiben, die dann sterilisiert und ohne Zunder Platz in irgendwelchen Tageszeitungen einnehmen, definitiv nicht, und Menschen, bei denen man das Größte seiner Selbst sein kann, das Allerbeste. Nicht das Beeindruckendste oder Erstrebenswerteste, sondern schlichtweg das Ehrlichste. Denn eigentlich ist man nicht nur in jeder Sprache, sondern im Umgang mit jedem Einzelnen ein doch etwas anderer Mensch. Was für ein Wahnsinn das sein muss, wenn man bedenkt wie viele Einzelne sich wohl gerade an die Bars auf Lissabons Dachterrassen drängen. Orte, von denen ich nicht weiß, ob sie die schlimmsten oder besten Orte sein sollen, die je gebaut wurden. 95% von woanders. 75% davon Single, 61% Single mit Sonnenbrand, 58% weiblich, 22% mein Fall, 9% Französisch und bis Mitternacht kein Prozent genau mein Fall:
Kein Prozent: “Lissabon passt zu dir, aber nicht für immer”
Ich: “Was passt denn zu mir, für immer?”
Kein Prozent: “Nichts!”
80% hier, um Menschen zu treffen, mit denen sie nicht hergekommen sind. 90% davon voller Selbstregulierung und Smalltalk. Haben die französischen Airbnb-Touristinnen, mit denen ich diesmal nicht Rauchen konnte deswegen aufgehört, wehzutun? Denn am meisten fehlen doch immer die, die man gestern nicht getroffen hat. Immer die, die man nicht angesprochen hat und immer die, die man noch nicht nackt gesehen hat. Kommen wir zum Punkt, reißen wir Kulissen ein. Im Notfall mit dummen Sprüchen, irgendetwas das provoziert und etwas von dir preisgibt, etwas, das hinter teurer Mascara und deinen Hobbies liegt. Und wenn nicht? Sind wir immer noch in einer der schönsten Städte der Welt, der wohl schönsten Europas. Gesund, ledig, gelangweilt. Trinken Gin auf einer Dachterrasse und blicken von hier voller Erwartungen in eine vollgepackte Zukunft und die Ponte 25 de Abril. Kann das Liebe sein? Eigentlich nicht, zumindest nicht nach dem Aufstehen. Wo sich in diesen Zeilen nun endlich ein paar schöne Portugiesinnen verstecken? Am Strand! Zu beschäftigt, damit schön zu sein. Noch schöner! Eine schöner als die andere. Voller Unsicherheit und katholischem Traditionsbewusstsein, dass jede Liaison verbietet, aber hauchdünne Bikini-Strings erlaubt. Gefangen hinter braun gebrannter Unnahbarkeit und bewacht durch die drohenden Ressentiments ihrer Freundinnen und Großväter. Natürlich nicht alle, aber alle Blicke, die ich damit meine, schauen durch dich durch, obwohl sie dich im innersten vielleicht sogar heiraten würden. Egal! Also zurück auf die Suche nach einem Thema. Anscheinend besteht die regieführende Wirkung im Leben aus vielen unabhängigen Dingen, die nur richtig interpretiert gehören. Heißt also für mich, dass viele unabhängige Sätze auch eine Geschichte erzählen. Ist das ein Anlass? Oder zählen manchmal genau die Worte, die man nicht gesagt hat? Sollte ich, wie mein portugiesischer Journalistenkollege auf Bomben warten, um überhaupt Schreiben zu dürfen? Sollte ich einfach mal vor acht das Haus verlassen und mich in die vollgepackte Metro setzen oder erzählen, wie schrecklich es beim Apnoetraining mit ein paar Big Wave Surfern war? Wichtiges von Unwichtigen unterscheiden? Aufhören mein Bett in der Früh mit Akribie zu machen, weil mir das eh keiner glauben würde? Bitte nicht! Sonst ließe sich die Aussage dieses Textes in nur einem ausgenudelten Kalenderspruch zusammenfassen: Keine Termine und leicht einen sitzen.
18TH AUG 2017
SESSHAFT
Ich bin so oft schon durch diese Gassen gelaufen. Verloren gegangen über Kopfsteinpflaster, das durch die Jahrzehnte von Sandalen und Turnschuhen bis aufs Zahnfleisch poliert wurde. In festen Schuhen hält es ja kein Tourist aus, weil Urlaub immer irgendwas mit Flipflops zu tun haben muss, obwohl man sich nach acht getrost einen Mantel über die sonnenverbannten Schultern werfen kann. Von oben, über der Stadt, dort wo Tinder-Dates zu richtigen Beziehungen reifen, ist alle vier Minuten ein neues Flugzeug voller Erwartungen im Anflug. Von hier unten ein Orgasmus der Reiseromantik, ein Fernwehporno, trifft ein Kondensstreifen auf den nächsten. Wo fliegt der wohl hin, wo kommt der wohl her? Ein richtiges Vorstellungsidyll, das viel zu weit weg ist, um die Wahrheit zu sagen. Denn eigentlich ist im verspäteten Flieger aus Boston die Klimaanlage ausgefallen. Sitzen kann nach zehn Stunden auch keiner mehr und der Anschlussflug ist schon längst wieder im portugiesischen Nachthimmel verschwunden. Endlich gelandet, kommt die Rolltreppe erst, nachdem sich jeder Passagier voller Verlustängste an sein Handgepäck klammert und so den Piloten provoziert, endlich diese scheiß Tür aufzumachen. Stehend lässt sich die Zeit natürlich am leichtesten vorspulen, auch wenn das Aufgabegepäck versehentlicherweise doch in Boston vergessen wurde. Ein großes Airline-Entschuldigung und eine Packung Haribo! Wer die Dinge lieber lebt, als sie zu träumen, muss das mit der eigenen Fantasie bezahlen. Die Hürden des Alltags an einen Ort schleppen, der sonst eigentlich nur Urlaub bedeutet. Klopapier kaufen, Zahnarzt besuchen, die ganze Wahrheit portugiesischer Hinterhofromantik ertragen. Mit Menschen und ihren Wäscheleinen hinter glänzenden Fassaden. Bettlacken und Schlüpfer hängen wie Blätter über Essensresten und aufgerauchten Camel Lights. Mittlerweile grüße ich den dicken Chinesen gegenüber immer mit einem vorsichtigen Kopfnicken, das man auch als Nichtnicken interpretieren könnte. Morgens hustet sich ein alter Portugiese für eine Viertelstunde von seinen Camel Lights frei und abends hängt ein durchtrainierter Angolaner seine verschwitzten Handtücher zum Trocknen auf. Was die wohl von mir denken? Immerhin steht meine Balkontür 24 Stunden offen und bis neun tragen ich und mein Besuch nicht mal einen Bademantel. Lissabon ist nicht neu, aber anders. Wie eine lange Beziehung vor der ich mich so fürchte. In der man sich gerade neu kennenlernt und plötzlich all die Plätze vermisst, die man noch nicht besucht hat. Die Nirgendwos zwischen den Irgendwos, weil der Alltag von Menschen immer noch spannender ist, als ihre Abenteuer. Das heißt endlich eine Zimmerpflanze. Endlich Verantwortung übernehmen. Nur wie oft gießt man einen Farn, der schon vor 300 Millionen Jahren, weit vor den ersten Zimmern, für ordentlich Ambiente gesorgt hat. Die Oma im Blumenladen zeigt mir wie viel, nur wie oft kann mein spärliches Portugiesisch nicht wirklich sagen. Einmal die Woche? Einmal im Monat? Jeden Tag? Scheiße, das wäre zu viel! Alltag heißt auch: einmal Ikea und eine Offenbarung dessen, was im Leben nun wirklich zählt, was ich wirklich brauche. Kissen, Brettchen und eine silberne Schreibtischlampe. Ein widerverwendbarer Weinverschluss und mein Leben in Kisten. Entschuldigung, wo finde ich Korkmatten, mit denen ich mein knacksendes Bettgestell ruhigstellen kann? Es könnte immer noch mehr sein! Noch mehr Möbel, noch mehr Geld, noch mehr Wellen, noch mehr Handyakku! Es könnte aber auch noch weniger sein! Weniger Sonne, noch weniger Geld und dazu vielleicht auch noch Durchfall. Alles eigentlich die reinste Perspektivfrage. Ein Beispiel: Die letzte Woche haben wir in einem offenen Land Rover verbracht, der 1982 gebaut wurde und schon den Weg zum Strand zu einem Roadtrip werden lässt. Eine ganze Woche nur mit 60 km/h unterwegs zu sein, hat mir generell mal gut getan, obwohl der ständige Fahrtwind zu einer Nasennebenhöhlenentzündung und die pralle Mittagshitze zu einem gesunden Sonnenbrand geführt haben. Jedenfalls, um endlich etwas Sinn in diese selbstverherrlichende Grammatik zu bringen, war die Tankanzeige defekt. Genauso wie der Tempomat und der Rückwärtsgang. Illegal war das ganz ohne Sicherheitsgurte sowieso. Stehen geblieben, sind wir aber nicht in der Hektik einer Innenstadt oder der Einöde einsamer Landstraßen, sondern auf einem Seitenstreifen, der direkt zu einer Tankstelle führte. Kann das Zufall sein? Oder ein Lebenszeichen, was uns sagen will, dass wir es verdammt noch mal richtig machen? Vielleicht auch einfach nur solides Saldo auf dem Karmakonto, weil wir beim Fahren immer Rodriguez hören (I wonder) und gestern zwei Portugiesinnen aufgegabelt haben, die mit ihren Fahrrädern anscheinend durch einen Baumarkt gefahren sind. Meine Zimmerpflanze habe ich natürlich vergessen zu gießen, obwohl mir mein Besuch an diesem Morgen noch gesagt hat, dass solche Pflanzen eine ganze Menge Aufmerksamkeit brauchen. Natürlich auf Englisch! Französisch spricht hier keiner. Irgendwie interessant, dass man in jeder Sprache ein anderer Mensch ist. Mein deutsches Ich ist gelangweilt, mein englisches zu direkt und mein portugiesisches noch nicht vorhanden. Wir schreiben übrigens das Ende des Beispiels! Die kurze Atemnot, die mich an meinem ersten Morgen in der neuen Sesshaftigkeit geweckt hat, ist lange verflogen. Ich habe aufgehört auf dem Bürgersteig ständig Leute zu überholen und spaziere mittlerweile, ohne zu schwitzen. Nächste Woche zieht eine Italienerin in unser Apartment. Hoffentlich nicht zu attraktiv, sonst muss man auf dem Weg zur Dusche schon geduscht haben. Ich habe mein Leben eingerichtet und mit einem Mädchen oben, über der Stadt, umzingelt von Tinder-Dates und Kondensstreifen, stundenlangen Gin Tonic mit Wasser getrunken. Wie es sich für einen richtigen 26-Jährigen gehört, bin ich trotz unerreichbarer Geburtstagswünsche (Lass es Krachen!) irgendwann 27 geworden, und habe mich entschlossen, meine offene Naturholz –und Schreibtischplatte erst dann zu beizen, wenn ich doppelt so alt bin und an einem Samstagvormittag nicht mehr verkatert aufwache. Alles hat seine Zeit. Die langen Nächte, die zu vielen Zigaretten und die offenen Naturholzplatten. Hauptsache mit 54 nicht mehr 27 sein.