photography and words by Konstantin Arnold
“Days Outside of Time is a series of stories we have lived, written and captured throughout the past years of our love – days-outside-of-time.com”
taken from Briefe aus Lissabon IV
WETTERLEUCHTEN
Emilia Romagna, den 24. Mai 2023
Abends fuhren wir nach Parma. Pippo wollte uns zum Abschied gern noch ein paar Lokale zeigen. Sie in engen weißen Hosen und einem schönen, durchlässigen Oberteil, das die Farbe der Häuser hatte. Parma ist nur eine schöne Stadt, bis man mit jemandem aus der Gegend da ist und weiß, was es für die Landbewohner bedeutet. Abwechslung, Hoffnung, Geschlechtspartner. Es war Frühling und die Frauen übten sich und kontrollierten gegenseitig auf den Straßen, wie sie sich im Raum bewegen. Sie sahen immer erst mich an und dann sie und fragten sich, was es braucht, dass sie nicht hatten. Frauen konnten da fürchterlich fies sein. Italiener gucken generell allem hinterher, Frauen und Autos und man ertappte sich manchmal dabei, wie man nachguckt, ob sie einem nachgeguckt haben. Ich finde das toll, dass sie sich das Allermenschlichste nicht abgewöhnt hatten, in Portugal guckt nämlich gar keiner mehr, weil sie denken, was man dann denken könnte oder die Freundin denkt oder die Frau von der Freundin des Mannes, der gerade guckt. Es ist ein einziges Massaker, sobald man anfängt zu denken, was andere denken. Auf der anderen Seite ist Portugal das Land mit den ernsthaftesten Beziehungen der Welt, hier sah man sich einfach an, lächelte und nahm das Lächeln mit in den Tag. Meiner Freundin rannte sogar ein Mann hinterher, entschuldigte sich bei mir, und sagte, er müsse einfach sagen, dass sie eine so wunderschöne Frau ist und wenn ich irgendwann mal sterbe oder nicht nett bin, er bereit für sie wäre. Ich tat so als ob das klar ist und fragte Pippo, was wir jetzt machen und er sagte, wir gehen erst mal was trinken. Wenn man sich jeden Tag erschafft, so wie er, hat man am Abend immer etwas zu begießen. Das wäre doch wie bei mir, wenn ich nicht schreibe, bin ich kein Autor und wenn er keinen Käse macht, kein Parmesanbauer. Bei den Drinks unter einer grünen Markise erzählte er von seiner Freundin in Wien, die noch zwei Jahre Doktorarbeit vor sich hatte und eine Diagnose mit Wahrscheinlichkeit, und wie traurig das alles ist. Pippo hätte sehr gern Kinder, das Haus und er Hof und das ganze Leben wären schon da. Wir sprachen eine ganze Weile darüber und versuchten dann wieder über den Chef und die Trommeln von letzter Nacht zu lachen. Wie er mit der Kuhjacke kam und Schaumwein und wie fest er davon überzeugt gewesen war und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ und die ganze Nacht nicht einmal im Takt war. Pippo wollte wieder zahlen aber diesmal hielt ich ihn auf, weil in den letzten Wochen genug Leute für mich gezahlt hatten und ich das langsam ausnutzte. Wir gingen in ein nächstes gutes Lokal und dann in ein besseres, und eins von dem er dachte, dass es noch besser wäre, aber geschlossen war. Ich fragte, ob er gar keinen Hunger hätte und Pippo sagte nein. Sonst nur vom Essen zu sprechen und eine Nacht durch Parma zu ziehen, ohne Abendessen, war eine von Pippo’s eigenartigen Überraschungen. Er sagte natürlich, dass er keinen Hunger hätte und aß alles mit und bestellte noch mehr.
“Wir leben es, das ist die Kunst, der Rest ist nur Schreiben.”
Wir tranken Lambrusco, und einen ganz besonderen Wein zu Pferdetartar und Kuhmagen. Zwischendrin wieder der Moment, wo man dachte, dass er jetzt betrunken ist, aber nur ausholte und dann wieder zu uns kam. Pippo musste noch fahren. Und wie er fuhr. Sehr nah an den Kreisverkehren vorbei und verdammt spät raus. Zur Polizei sagte er, dass die bei Regen nicht kontrollierten. Sie schlief schon hinten drin und würde den drohenden Tod also nicht mitbekommen. Er fragte, ob wir noch einen Absacker in der Dorfkneipe trinken und ich sagte klar. Sie ließen wir schlafen. Die Kneipe wurde von einer sehr dicken Frau und einem sehr großen Hund geführt. Die Leute saßen draußen unter dem Heizpilz. Ein paar Alte und ein paar Junge und eine gerade 18 jährige, die man rechtlich schon scharf finden darf. Sie sagte, dass das am Tisch da ihr Freund sei, aber er bestritt es und ich sagte, er solle das mal nicht bestreiten, er würde im Leben keine bessere finden, wenn er das wirklich denkt und glaubt, dass er Charme hat. Später kam er zu mir und fragte, ob er sie mal in meinem Bentley beeindrucken könnte, er habe das nicht so gemeint. Ich sagte klar, der hätte aber nur noch zwanzig Kilometer im Tank und er müsste selber tanken. Irgendwann rief meine Freundin an und wusste nicht wo sie war. Ich sagte, sie liege auf der Rückbank eines weißen Transporters und wir sind in der Dorfkneipe und gleich zurück. Sie sagte, geht klar. Ich meinte zu Pippo, ich liebe diese Frau, weil sie immer Energie hat und Lust und sich nie beschwert, wenn sie keine hat.
“Man nimmt sich vor, nie wieder in Abhängigkeiten zu geraten, aber Leben geht so nicht.”
Die letzten Tage waren dann so schön, es gab gar nichts groß zu notieren. Ich brachte sie an einem grauen, Sonntag zum Bahnhof und trug ihre Koffer aufs Gleis. Der Regen hatte sich Zeit gelassen und schöne Momente verschenkt, die wir jetzt in einander umarmten, aber selbst jetzt war er nicht traurig, wie Sommerregen, die Statuen davon weiß, die Bäume dadurch grün, die Möglichkeit der Interaktion gegeben. Ich vermisste sie schon, bevor der Zug da war. Manche Sachen sollte man so für sich stehen lassen, aber Pippo bestand darauf, mich vor meiner Abfahrt noch zum Essen bei seiner Familie einzuladen und ich parkte den Bentley zwischen zwei verschiedenen Sorten von Kuhscheiße. Man spürte die Leere, die das Fehlen einer Frau und der Wunsch nach Kindern und zusammen im Bett liegen sonntags auf einem Hof in einem wie Pippo erzeugen kann. Seine Eltern und Cousins waren sehr herzlich und nahmen mich als vollwertiges Mitglied in die Familie auf. Es ist vielleicht das Ziel eines jeden Reisenden, der Sinn allen Umherfahrens, die Summer allen Tuns und die Erzählung darüber, frisch gemachte Pasta von einer italienischen Mama zu erhalten, die man sich abends in Lissabon nochmal warm machen soll. Zum Abschied hatte Pippo ein großes Stück Parmesan für mich, das gar nicht in meinen Koffer passte, aber Pippo meinte, ich fliege mit Alitalia und die würden das schon verstehen. Es war ein sehr interessanter Einblick in das italienische Familienleben und man bekam einen Idee davon, wie es gewesen wäre, so von italienischem Feuer, italienischer Kunst, und italienischen Büchern umgeben, wenn man sich vor langer Zeit nicht in Portugal und in Portugal verliebt hätte, sondern in Italien und eine Italienerin. Aber bei dieser Vorstellung spürte ich die gleiche Leere wie nach einer guten Geschichte oder Sex mit anderen vor ihr. Italien war vielleicht offener als Portugal, aber auch schneller wieder Vergessen und es war schön mit Abstand hier zu sein und sie fast in Florenz und so die Möglichkeit zu haben, sich zu vermissen.
“Vielleicht hatte ich einen Augenblick eine Ahnung davon, was es heißt, zu sein und sich ganz und gar in jemandem zu verlieren.”
Fünf Jahre, fast vier Bücher, zig Länder, Hotelzimmer und Bars, Cafés, Essen, Trinken und Tränen, Lachen, Weinen und Wein, Hubschrauberflüge, Unsicherheiten, Himmel und Höllen, Museen, Cabrios und lange schwere Wanderungen, Abschiede und Hallos und wieder Abschied, Erwartungen und entschlüsselte, Missverständnisse in so vielen verschiedenen Sprachen und schließlich nur Sehnsucht oder andere Worte, die das einfache Gefühl der Zufriedenheit beschreiben, dass durch die schöne Ambivalenz der Liebe auf einem italienischen Bahnhof entsteht, ohne Schlaf, und ohne Anlass, das zu veröffentlichen. Wir leben es, das ist die Kunst, der Rest ist nur Schreiben. Ich fuhr diese schönen leeren Straßen ein letztes Mal im Sportwagen und das Leben kam mir sehr kurz und sehr lang vor. Ich dachte was so war und was ist und was weiter so sein wird. Vielleicht hatte ich einen Augenblick eine Ahnung davon, was es heißt, zu sein und sich ganz und gar in jemandem zu verlieren. Man nimmt sich vor, nie wieder in Abhängigkeiten zu geraten, aber Leben geht so nicht. Manchmal ist es verflucht Leben und manchmal schade, dass es nur eins ist. Wie sie da so singt, in einem Lokal in Emilia Romagna, im roten Cardigan, non C’e, non C’e, glaube ich den Moment lang immer mit ihr zusammen zu bleiben. Jenes Glück konnte dann doch nur noch von Leuten begrenzt werden, abgesehen von denen, die ein wenig Phantasie zu ließen und selbst waren, wie das Glück, das man sich zusammen erarbeitet.